Big Brother is watching you
Die Ampel wird Rot, Sie huschen im letzten Moment noch schnell über die Straße. Pling: Ihr Konterfei erscheint in Großaufnahme auf der riesigen Leinwand an der Kreuzung – als mahnendes Beispiel, wie man es nicht machen sollte. Minuspunkt. Aus Versehen überfahren Sie im hektischen Stadtverkehr eine durchgezogene Linie. Minuspunkt. Zum Glück haben Sie gerade einen Haufen Pluspunkte gesammelt, weil Sie den richtigen Partner geheiratet haben, einen mit dem richtigen Job und der richtigen politischen Einstellung. Der hat eine Menge Sozialpunkte, und Sie können damit die Minuspunkte auf ihrem eigenen Sozialkonto locker ausgleichen. Big Brother is watching you!
Smart City "par excellence"
Was für die meisten von uns verstörend klingt, gehört für viele Chinesen zum Alltag. Der digitale Überwachungsstaat. KI macht’s möglich. Und China macht es allen vor – steckt der Staat doch eine milliardenschwere Förderung in Unternehmen und Wissenschaftsbereiche, die sich mit KI beschäftigen. Mit einem großen Ziel: China möchte Weltmarktführer werden. In einem Bereich sind sie der Welt bereits jetzt voraus.
Shenzhen, Millionenmetropole im Südosten Chinas, die digitale Megacity. Hier wird alles überwacht und vernetzt. Stadtverwaltung und -planung mit KI – mehr Smart City geht nicht. Von der Wasser- und Strom-versorgung bis zur Bettenbelegung in Krankenhäusern. In der riesigen Schaltzentrale der Stadtverwaltung werden die Daten ausgewertet, in Echtzeit, versteht sich. Auch die Daten, die die Bodycamtragenden Angestellten täglich auf den Straßen der Stadt einfangen, um Straftaten oder illegale Bauvorhaben „live“ zu filmen. Wobei wir wieder beim „Social Credits System“ wären. Erwischt dich eine Bodycam bei etwas, was nicht konform mit dem Punktesystem ist, gibt es natürlich direkt wieder einen Punktabzug. Die Chinesen finden es gut, zumindest überwiegend. Deshalb soll es 2020 auch in der gesamten Volksrepublik eingeführt werden. Die Kriminalität sei schließlich zurückgegangen seit der Einführung des Systems. Ein positiver Effekt. Dass damit auch die totale Überwachung eingesetzt hat – Nebensache. Privatsphäre steht hintenan, Daten fließen sowieso en masse. Auch wenn man gemütlich im nächsten Café am Tablet seinen Cafè Latte bestellt, der frisch vom blechern-charmanten Roboter zubereitet und an den Tisch gefahren wird – und beim nächsten Besuch Ihre Kaffeevorlieben natürlich schon kennt und das heiße Getränk bereits frisch für Sie zubereitet hat, bevor Sie überhaupt den Laden betreten.
Eine Diagnose ohne Arzt?
Vom Café in der Smart City auf den virtuellen Patientenstuhl. Von China zur zweiten KI-Großmacht, den USA. Experten an der Universität Stanford, eine der Hochburgen für KI-Forschung, zeigen, wie sich Künstliche und menschliche Intelligenz sinnvoll ergänzen können. Prof. Pranav Rajpurka und sein Team haben einen intelligenten Algorithmus für die Auswertung von Röntgenbildern entwickelt. Ärzte und Patienten können per App ihr Röntgenbild hochladen und erhalten eine Diagnose: Lungenentzündung, Ödem oder Tumor. Eine Diagnose via App? Möglich durch das Trainieren der KI mit abertausenden von Daten. Also mit abertausenden von Röntgenbildern, mit denen das System gefüttert wurde. Würden Sie so einer digitalen Diagnose sofort vertrauen? Vermutlich eher, wenn Sie wüssten, dass sie ein Mediziner kontrolliert hat. Deshalb haben die KI-Experten ihre Ergebnisse überprüft. Mit Radiologen. Das Ergebnis: Die Diagnose der KI war so gut wie die der Ärzte. Funktioniert also.
Ähnlich ging man bei der Entwicklung eines revolutionären Verfahrens für die Erkennung von Parkinson vor. Hierfür wurden Daten durch Laufanalysen und Stimmproben gesammelt und der Algorithmus wurde auf eine bestimmte Abrundungsbewegung bei der Analyse von Laufbewegungen trainiert, an der man Parkinsonanzeichen erkennt.
Hautkrebs oder Brustkrebs erkennen, Darmspiegelungen auswerten, Herzkrankheiten frühzeitig aufdecken. Vie-les funktioniert schon über Apps und digitale Analyseverfahren. Aber in der medizinischen Diagnostik wird kräftig weiterentwickelt und geforscht, um mittels KI eine bessere Früherkennung zu gewährleisten, Medikamente schneller entwickeln zu können und Behandlungen zu personalisieren. Das bedeutet aber nicht, dass Ärzte irgendwann mal überflüssig werden könnten. Denn wer würde dann eine patientenindividuelle Behandlung durchführen und den Patienten betreuen? Ein Roboter wie im Café wird es wohl nicht sein. Denn da, wo es auf das Zwischenmenschliche ankommt und auf individuelle und spontane Entscheidungen, hilft noch keine trainierte KI.
DIE „SMARTESTE“ ALLER STÄDTE
Shenzhen liegt im Süden der Provinz und grenzt südlich an die Sonderverwaltungszone Hongkong. Die Planstadt gilt aufgrund ihres Status als Sonderwirtschaftszone als wichtiger Ort für ausländische Investitionen und ist eine der am schnellsten wachsenden Städte der Welt. Shenzhen hat das höchste Pro-Kopf-Einkommen Chinas (ohne Hongkong und Macau). Tragende Säulen der lokalen Wirtschaft sind die Elektronik- und die Telekommunikationsindustrie. Fläche: 1.991 km² | Einwohner: 12.470.000 (2011) | Quelle: Wikipedia
Wer soll sterben?
Apropos individuelle und spontane Entscheidungen. Das Thema „autonomes Fahren“ ist schon längst in aller Munde. Wir alle kennen sie, die Versuche von Google, Tesla und Co. mit selbstfahrenden Autos. Und die mehr oder weniger lustigen Pannen, die bei diesen Experimenten immer wieder passieren. Weil ein entscheidender Baustein fehlt. Abstandsmessungen zur Umgebung und die präzise Nachverfolgung des Autos sind keine Herausforderungen mehr. Aber was im nächsten Moment im Straßenverkehr passiert und wie sich die anderen Verkehrsbeteiligten verhalten, ist bisher für keine KI vorhersehbar.
Deshalb sei autonomes Fahren noch Zukunftsmusik für die nächsten 20 bis 30 Jahre, meint jedenfalls einer der führenden Forscher auf diesem Ge-biet, Professor Sertac Karaman. Aber ein spannendes Forschungsfeld ist es allemal. Am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston entwickelt Karaman mit seinem Team autonom fahrende Prototypen. Diese sollen einmal besser „vorhersagen“ können, was rund um ein selbstfahrendes Fahrzeug im Straßenverkehr als Nächstes passiert und wie sich das Fahrzeug entsprechend verhalten muss.
Nach welchen Gesetzen soll eine KI im Straßenverkehr handeln? Wie programmiert man unvorhersehbare Handlungen? Das wird ebenfalls am MIT mit der sogenannten „Moral Machine“ erforscht. Wie reagieren Menschen richtig bei Unfällen oder in Stresssituationen? Kann eine KI hier vielleicht rationaler sein und Unfälle verhindern? Eine KI kann das Umfeld circa eine Million Mal pro Sekunde erfassen und den Ablauf genau auswerten, um sich für eine bestimmte Reaktion zu entscheiden. Das ist ein Vorteil gegenüber einem Menschen. Eine wesentlich schnellere, nicht emotionale Entscheidung, die ohne Stress getroffen wird. Aber ist es deshalb auch eine gute Entscheidung? Im härtesten Fall könnte sie lauten: Wer soll sterben? Alter Mensch, Mann, Frau? Sollen Kinder eher verschont werden? Wie soll sich der intelligente Algorithmus entscheiden? Dafür haben die Wissenschaftler am MIT weltweit Daten gesammelt, indem sie Menschen befragt haben, wie sie in so einer Dilemma-Situation entscheiden würden. Lieber den älteren Mann auf dem Zebrastreifen umfahren, damit man dem Kind ausweichen kann, das gerade unvermittelt zwischen parkenden Autos auf die Straße lief? Hier sind wir bei ethischen Fragestellungen angelangt. Möchten wir Menschen wirklich solche Entscheidungen vorgeben müssen, die eine KI dann irgendwann für uns trifft? Fakt ist, dass nur Menschen diese Entscheidungen treffen können. Das nimmt uns keine KI ab.
Vor der Künstlichen ist die menschliche Intelligenz gefragt
Hatten Sie an der einen oder anderen Stelle beim Lesen dieses Artikels gewisse „Störgefühle“? Wenn man in die Welt der Künstlichen Intelligenz eintaucht, schwankt man öfter mal zwischen Staunen und Vorbehalten oder Skepsis. An sämtlichen Stellen in unserem Alltag wird uns immer mehr bewusst, welche gewaltigen Potenziale KI für uns bereithält.
Ob in der Arbeitswelt, Wirtschaft, Kommunikation oder Technik: Da, wo der Mensch an seine Grenzen stößt, fängt die KI an, aus Wahrscheinlichkeiten, Prognosen und Abhängigkeiten die richtigen Schlüsse zu ziehen. Um all jenes möglich zu machen, von dem wir hier sprechen.
Von intelligenten Assistenzsystemen bis hin zur intelligenten Vernetzung. Vieles bietet uns Komfort, Erleichterung und teilweise auch mehr Sicherheit in unserem Alltag.
Für unser Geschäft erhoffen wir uns durch KI die entscheidenden Vorteile in puncto Wirtschaftlichkeit, Kundenzentrierung, Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftssicherheit. Natürlich bedeutet das auch, dass einiges über uns verraten wird, eigentlich fast alles. Datenkonzerne à la Google, Facebook oder Apple lassen grüßen. KI verstärkt deren Macht. Bleibt zu hoffen, dass man es dort und in China irgendwie genauso sieht wie wir es sehen: Vor der Künstlichen ist die menschliche Intelligenz gefragt. Der Einsatz von KI entbindet Menschen nicht davon, Anforderungen, Bedürfnisse und Werte zu kennen und richtig zu bewerten. Wenn es darum geht, die Potenziale von KI zu nutzen, wird immer der Mensch entscheidend sein. Nur so können die Chancen der neuen technischen Möglichkeiten sinnvoll genutzt werden. Es kommt auf das richtige Zusammenspiel an.
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